Gummiabrieb

Reifenpanne nach MalibuDa fahren wir 3825 Meilen oder 6155 Kilometer quer durch die USA – nur um ausgerechnet im sonnigen Kalifornien die tiefsten Temperaturen überhaupt anzutreffen: Acht Grad Celsius herrschen hier in Pismo Beach, rund 400 Kilometer vor unserem Ziel San Francisco, und angeblich solls morgen regnen – wir hatten bisher in zwei Wochen Fahrt keinen einzigen Schlechtwettertag.

Aber das ist nicht der einzige Kälteschock, den wir heute erfahren haben. Nach einer gemütlichen Tasse Kaffee auf Scheuris Terrasse hoch über Hollywood sind wir auf dem Sunset Strip rausgefahren durch Beverly Hills, an Bel Air vorbei nach Santa Monica und weiter nach Malibu. Dort hat mich Pierre irgendwann überholt, und mir fiel der bauchige Hinterreifen seiner K75 auf – eine Pneupanne!

Ich hab sowas in 22 Jahren Motorradfahrt nie erlebt, obwohl in Töffahrerkreisen vor allem hier in Kalifornien häufig davon die Rede ist. Vor dem Abflug aus San Francisco hatte ich die Anschaffung eines Pneu-Flick-Kits ins Auge gefasst, es dann aber vergessen. Die neue Maschine allerdings, die ich in New Jersey bei Walti abgeholt habe,ist nicht nur mit einer Warnblinkanlage ausgestattet, sondern hatte im Heckbürzel auch ein Flickset integriert: Ahle, Gummistopfen, CO2-Patronen.

Nur konnten wir auf dem Pannenstreifen in Malibu das Loch im Pneu nicht ausmachen. Ein Handy-Anruf beim amerikanischen Automobilclub, dessen Mitglied ich bin, ergab lediglich, dass ich keine Motorradversicherung habe und die Bergung der Maschine durch einen Abschleppservice deswegen voll zu meinen Lasten ginge. Wir entschieden uns deswegen zunächst für einen Versuch mit den Selbstheil-Pneusprays, dies an jeder Tankstelle zu kaufen gibt (NOT FOR MOTORCYCLES), wählten die nächstliegende Gasstation im GPS und fuhren auf meiner Maschine hin. Eine halbe Stunde später erwies sich der Spray am Pannenfahrzeug aber als zu dünnflüssig: Die klebrige weisse Sosse sprudelte durch das Pneuventil in den Reifen und an den Felgenwülsten und an einer Stelle der Lauffläche gleich wieder ins Freie.

Wenigstens war damit das Loch gefunden, und einige Minuten später war der Schaden dank des praktischen und gut erklärten Flickzeugs von BMW behoben, auch wenn die drei CO2-Patronen den Reifen nicht auf Betriebsdruck zu bringen vermochten.

Das ganze Erlebnis hat uns einen halben Tag gekostet und die Aussage bestätigt, wonach die Amerikaner in den Südstaaten vielleicht Landeier, aber weitaus freundlicher sind als die Küstenbewohner.

Jedes einzelne Mal nämlich, und ich meine: JEDES Mal, wenn wir auf unserem Trip irgendwo am Strassenrand anhielten, nahm mindestens ein Autofahrer dies zum Anlass, um ebenfalls zu stoppen und sich zu erkundigen, ob wir Hilfe bräuchten. Ein paar Mal hatten freundliche Zeitgenossen sogar gewendet, und als ich mich in Tennessee vor meinem Moped bäuchlings auf die Strasse gelegt hatte, um ein plattgefahrenes Gürteltier zu fotografieren, brachte einer sein Auto mit rauchenden Pneus zum Halten.

Aber hier, am Ortsausgang von Malibu, stand meine Maschine mit eingeschalteter Warnblinkanlage hundert Meter vor der defekten K75 auf dem Pannenstreifen; Zwei Motorradfahrer knieten neben einem offensichtlich beschädigten Fahrzeug, und während gut zwei Stunden hielt kein einziger Automobilist an. Kaum einer wechselte auch nur die Spur, um an uns vorbeizupreschen.

Trotzdem bin ich dankbar, dass uns dieses kleine Abenteuer am zweitletzten Tag unmittelbar bei einer grösseren Ortschaft und nicht irgendwo in der Mojave ereilt hat, auch wenn dort die Autofahrer angehalten hätten.

Trotz der Kälte – der emotionalen wie der meteorologischen – haben wir diesen zweiten Tag in Kalifornien danach genossen. Die Fahrt auf dem Highway 1 entlang der Küste und durch die für einmal knallgrünen Hügel in eine durch Nebelschwaden und Wolken dramatisierte Szenerie wurde in der Dämmerung langsam zu einer zuckerwatteweichen Achterbahnfahrt der schönsten Sorte. Mit einem Hotelzimmer direkt am Strand (jawohl Bruder, genau dort, sogar im gleichen Zimmer) haben wir uns für die Strapazen des Tages belohnt. Morgen kehre ich nach Hause zurück, während Pierre eine weitere Ladung einzigartiger Eindrücke in seinen übersprüdelnden Erinnerungstopf gespült kriegt. Ein bisschen Wehmut hat mich deshalb schon gestern überfallen: Während mein Begleiter weiterhin in Fremdartigkeit, Überraschungen und Entdeckungen schwelgt, hat für mich mit der Ankunft in Los Angeles die Agonie des Abenteuergefühls begonnen.

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